Bittner, Anja; Holtz, Bärbel (Hrsg.): Der preußische Hof von 1786 bis 1918. Ämter, Akteure und Akteurinnen. Paderborn 2022 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-70833-5 XXX, 793 S. € 239,00

Große, Annelie; Holtz, Bärbel (Hrsg.): Die Hoffinanzierung in der preußischen Monarchie von 1786 bis 1918 Paderborn 2023 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-79544-1 VI, 1.005 S. € 299,00

Rathgeber, Christina; Spenkuch, Hartwin (Hrsg.): Instrumente monarchischer Selbstregierung. Zivil-, Militär- und Marinekabinett in Preußen 1786 bis 1918. Paderborn 2023 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-79545-8 VI, 713 S. € 249,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Stamm-Kuhlmann, Historisches Institut, Universität Greifswald

Ein soziales Gebilde kann erst verstanden werden, wenn sein internes Geflecht von Machtverhältnissen zum Thema wird. Die Konstellationen von Personen, die einen Mächtigen umgeben, verdienen es, unabhängig von der Frage nach der „Größe“ oder „Bedeutung“ von Individuen behandelt zu werden. Unter einem kulturgeschichtlichen Ansatz gewinnen Macht- und Herrschaftsapparate neue Relevanz und darf die von Carl Schmitt einst formulierte Frage nach dem „Zugang zum Machthaber“ neu untersucht werden. Was früher als „Personengeschichte“ abgewertet wurde, kann im günstigen Fall eine Untersuchung von Mechanismen der Herrschaftsausübung werden, die für das Verständnis historischer Epochen wesentlich ist. Symbolik und Performanz der Hofgesellschaft können sogar im Verlauf des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnen, und zwar, wie Christina Rathgeber und Hartwin Spenkuch in Erinnerung bringen, aus unterschiedlichen Gründen: in Großbritannien, um den schwindenden politischen Einfluss der Monarchin zu kompensieren; in Preußen und Österreich, um die weiterhin bestehenden konstitutionellen Befugnisse der Herrscher zu stärken (Bd. 3, S. 1).

Aus diesem Grund ist es verdienstlich, dass in der Neuen Folge der „Acta Borussica“ eine Reihe erscheint, die den „Praktiken der Monarchie“ gewidmet ist. Die ursprüngliche Machtzentrale der Monarchen war der Hof, der schrittweise eine zeremonielle Eigenbedeutung gewonnen hat, während sich das Kabinett, das Ministerium und der Behördenapparat als spätere Orte der Herrschaftsausübung aus ihm heraus entwickelt haben. Dieses Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften liefert detaillierte Sachkenntnis für Forschende, die ein Spezialinteresse an Preußen haben, und es ist gleichzeitig bestrebt, Performanz, Struktur und Ressourcen der Monarchie überhaupt zu verstehen.

Fast ein Jahrhundert, nachdem Norbert Elias begonnen hatte, eine soziologische Sicht auf den Hof jenseits bürgerlicher Vorbehalte zu entwickeln, und fast vierzig Jahre nach John C. G. Röhls populären Studien über den Hof Wilhelms II., wird – in der Form dreier Quelleneditionen – ein reiches empirisches Material geliefert. Diesen Editionen sind in Bd. 1 ein programmatischer Artikel von Wolfgang Neugebauer („Praktiken der späten Monarchie: Einführung in ein Editions- und Forschungsprogramm“) und eine 214-seitige Einleitung von Anja Bittner („Amtsorganisation, Akteurinnen, Akteure und die Arbeitswelt des Hofpersonals“), in Bd. 2 eine 166-seitige Einleitung von Annelie Große („Die Finanzierung von Hof und Königshaus in Preußen von 1786 bis 1918, Strukturen und Praktiken im Wandel“) sowie in Bd. 3 eine 148-seitige Einleitung von Christina Rathgeber und Hartwin Spenkuch („Monarchenbüro, Ausdruck königlicher Selbstregierung, extrakonstitutionelle Instanz: Zivil-, Militär- und Marinekabinett in Preußen 1786⎼1918“) vorangestellt. Eine Zusammenfassung der Editionsgrundsätze, die in allen drei Bänden textgleich ist, hat Bärbel Holtz beigesteuert. Seltsamerweise weicht Bd. 2 im Format von den beiden anderen Bänden der Reihe ab; er ist größer ausgefallen.

Bisher hat die Geschichtswissenschaft dem preußischen Hof gerade für die Ära geringe Beachtung geschenkt, in welcher der Hof seinen größten Umfang erreicht hat – nämlich dem Zeitraum vom Tod Friedrichs des Großen bis zum selbst verschuldeten Untergang der Monarchie 1918. Bereits die Einleitung zu dem Personal gewidmeten Bd. 1 von Anja Bittner mit ihren vorsichtigen Formulierungen macht deutlich, wie unterforscht das Gebiet bisher war. Bevor eine gewandelte Interessenlage die Forschung hätte anstoßen können, schufen Kriegsverluste in den Akten des Oberhofmarschallamts und der Schlösserverwaltung weitere Hindernisse (Bd. 1, S. 10).

Der preußisch-deutsche Hof nach der Reichsgründung scheint im Vergleich zu den Höfen von London, St. Petersburg und Wien in Umfang und Aufwand nicht aus dem Rahmen gefallen zu sein (Bd. 1, S. 13). Seine Finanzierung wurde bisher noch nie im Längsschnitt untersucht. Solange die Monarchie bestand, war die historische Forschung auf die Staatsfinanzen fixiert, ohne die Abgrenzung zwischen Hof und Staat zu thematisieren – das geschah erst im Zug der Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Freistaat Preußen und dem ehemaligen Herrscherhaus (Bd. 2, S. 4). Im 20. Jahrhundert konnten Forschende, die sich einzelnen Monarchen widmeten, für die Finanzierung des Hofes nur wenig Aufmerksamkeit erübrigen. Auch die „Praktiken der Monarchie“ beschränken sich auf den abgeschlossenen Raum des Hofes, da der Umfang der preußischen Staatsfinanzen für das 19. Jahrhundert gar nicht klar umrissen sei (Bd. 2, S. 8). Mit dem Staatsschuldenedikt von 1820 wurde zum ersten Mal eine Kronrente fixiert, die zunächst jährlich 2,5 Millionen Taler betrug. Diese unterschied sich von einer Zivilliste dadurch, dass sie zumindest dem Begriff nach auf den Domänenbesitz des Staates radiziert und somit in ihrem Kern von einer ständischen Bewilligung unabhängig war; die vier Erhöhungen ab 1850 bedurften trotzdem parlamentarischer Genehmigung (Bd. 2, S. 28). Besonders ab 1868 trieb das Königshaus dann auch eine Trennung des Hausvermögens von der Hoffinanzierung voran (Bd. 2, S. 50, S. 165). Die Akribie, mit der in diesem Überblicksartikel ohne Vorläuferarbeiten aus der bisherigen Forschung Licht in das komplizierte Verhältnis von Kronfideikommiss, Hausfideikommiss und Schatulle gebracht wird, verdient Anerkennung. Es werden auch ausführliche Tabellen geboten.

Der Ruf König Friedrich Wilhelms II., ein Verschwender gewesen zu sein, bestätigt sich aus den hier konsultierten Quellen nicht (Bd. 2, S. 94f.). Vielmehr scheint sich sein schlecht beleumdeter Geheimer Kämmerer Ritz um Einsparungen bemüht zu haben. Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch der „Staat“ in Gestalt des Finanzministeriums traten im Verlauf des 19. Jahrhunderts als Antagonisten der Dynastie bei der Finanzierung des Hofes in Erscheinung (Bd. 2, S. 57). Ab 1862 betrieb der Krontresor vorübergehend auch Anlagen in ausländischen Wertpapieren, um dem Königshaus eine Absicherung für den Fall seiner Entmachtung zu garantieren (Bd. 2, S. 67).

Anders als die auf Vollständigkeit abzielende Edition der Protokolle des Staatsministeriums stellt die Edition „Praktiken der Monarchie“ eine „thematisch definierte Quellenauswahl“ dar. Sie bietet „Schlüsseldokumente, die für den Forschungsansatz des Vorhabens von Anpassungspotenzialen der Monarchie beziehungsweise deren Grenzen aussagekräftig sind“ (Bd. 1, S. 217). Insofern Ausgaben und Schulden etwas über den Lebensstil einer Persönlichkeit des Königshauses aussagen, können die in Bd. 2 abgedruckten Dokumente auch von biografischem oder baugeschichtlichem Interesse sein, wie zum Beispiel im Fall des Prinzen Carl und seiner Kunstschätze in Schloss Glienicke (Bd. 2, Dok 124 a–g). Dok. 80 und 84 aus Bd. 1 sowie Dok. 10 und 11 aus Bd. 3 belegen die traditionsgebundene Formulierung der Bestallungsurkunden für Hofbeamte. Bd. 3 widmet sich dem Zivil-, Militär- und Marinekabinett. Er bietet Einblicke in die Personalia der Kabinettsräte und zeigt, welche Funktionen den Kabinetten beim Kampf um die königliche Letztentscheidung zufielen. So empörte sich der Präsident des Staatsrats, Herzog Carl zu Mecklenburg-Strelitz, darüber, dass das Mitglied des Staatsrats Wilhelm von Humboldt den Versuch unternahm, die Revision der Städteordnung, die den Staatsrat bereits passiert hatte, durch Intervention beim Chef des Militärkabinetts Job von Witzleben aufzuhalten. „H. vonWitzleben glaubt den Herr vHumboldt zu benutzen, aber er merkt es nicht, dass HvHumboldt ihn benutzt, um sich dem König zu nähern, um zu steigen.“ (Bd. 3, Dok. 39). Tatsächlich gelang es Witzleben, den eigentlich für den Vortrag von Zivilsachen zuständigen Kabinettsminister, den Generalmajor Grafen Lottum, zu überspielen (Bd. 3, Dok. 40). Kronprinz Friedrich Wilhelm träumte 1835 davon, es könnte zusätzlich noch ein Kultuskabinett unter seinem Freund Bunsen geben (Bd. 3, Dok. 43). Nach seiner Thronbesteigung ernannte Friedrich Wilhelm IV. den Generalleutnant Ludwig Gustav von Thile zum Kabinettsminister, der ihm auch Fragen der auswärtigen Politik vortrug. Thile legte dem König 1842 eine Kritik des Stils der Regierung aus dem Kabinett vor, die an die Argumente des Freiherrn vom Stein aus dem Jahr 1806 gemahnt (Bd. 3, Dok. 71).

Neben trockenen Dokumenten zur Besoldung der Kabinettsbeamten sowie zu Bau und Raumaufteilung der Kabinettshäuser finden sich in Bd. 3 weitere personenpsychologische Juwelen wie die Charakteristik Wilhelms I. und seiner Höflinge, die der ehemalige Flügeladjutant und spätere Generalstabschef Graf Waldersee 1897 zu Papier gebracht hat (Bd. 3, Dok. 249). Durch die hier vorgenommene Zuordnung der Geschichte der preußischen Kabinette ist bereits klargestellt, dass die Kabinette als Teil des Hofes und der monarchischen Regierung verstanden werden sollen und nicht dem Anstaltsstaat sowie seiner Bürokratie zugewiesen sind, was folgerichtig auch darin zum Ausdruck kommt, dass die Protokolle des 1817 durch Hardenberg endgültig formierten preußischen Staatsministeriums bereits als I. Reihe der Acta Borussica N.F. publiziert sind. Dass so der immer noch vorkommenden begrifflichen Verwechslung von Staatsministerium und Kabinett (zum Beispiel „das Kabinett Pfuel“ statt „das Ministerium Pfuel“) vorgebeugt werden kann, müssen wir hoffen. Auf jeden Fall gilt: „Trotz […] der Anpassungen an die staatliche Verwaltung entwickelte sich das Kabinett aber nie zu einer staatlichen Behörde“ (Bd. 3, S. 77).

Obwohl in Bd. 3, Dok. 48, 52 und 58 ausdrücklich erwähnt, ist das Kabinettsjournal im Rahmen dieser Edition keiner speziellen Auswertung unterworfen worden. Die verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Kabinette im Allgemeinen war beträchtlich. Ihre Institution sei, so meint Hartwin Spenkuch, ein Ausdruck der den preußisch-deutschen Herrschern eigenen Entschlossenheit, weiter selbst zu regieren. So hätten deren Chefs – ursprünglich einmal Bürobeamte oder Adjutanten – als in der Verfassung nicht vorgesehene Berater vor allem im Kaiserreich Einfluss gewonnen (Bd. 3, S. 116). Das Militärkabinett im Besonderen geht auf die Entscheidung Friedrich Wilhelms II. im Jahr 1787 zurück, dass Kabinettsordern in Militärangelegenheiten im Büro des Generaladjutanten auszufertigen waren (vgl. Bd. 3, Dok. 283). Die Bedeutung des Militärkabinetts wuchs in dem Maß, in dem die unbegrenzte Kommandogewalt als Prärogative der Krone gegen den Konstitutionalismus verteidigt werden sollte. Hier weist Hartwin Spenkuch Edwin von Manteuffel und der Kamarilla Friedrich Wilhelms IV. die Schlüsselrolle zu. Deren Doktrin sei bis 1918 „zäh verteidigt“ worden, obwohl sie, wie Spenkuch im Widerspruch zu Ernst Rudolf Huber sagt, „gegen den Verfassungstext aufgestellt“ worden sei (Bd. 3, S. 120). Das Marinekabinett wurde dann durch Wilhelm II. in Analogie zum Militärkabinett geschaffen, womit eine „dysfunktionale“ Dreiteilung der Marineleitung in Reichsmarineamt, Marinekabinett und Flottenkommando entstand (Bd. 3, S. 156).

Die in Bd. 3 gebotenen Exempla für die Bearbeitung allgemeinpolitischer Themen durch die Kabinette werden sparsam aus der einschlägigen Spezialliteratur kommentiert, am ehesten durch Verweise auf Treitschkes Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Während verschiedentlich frühere Druckorte, auch auszugsweise, der in der Edition versammelten Quellen angegeben sind, ist nicht vermerkt, dass die Denkschrift Hardenbergs von 1797, die Kabinettsorder an das Staatsministerium vom 21. Oktober 1819 und das Schreiben des Kronprinzen an den Oberkammerherrn Fürsten Wittgenstein vom 31. Januar 1823 ausführlich bei Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit, zitiert sind.1 Hofbeamte wurden von Wilhelm II. nicht deshalb vom Hof entfernt, weil sie für die vom Kaiser gewünschte Kanalvorlage gestimmt hatten, sondern weil sie dagegen gewesen sind (Bd. 1, S. 79, vgl. Bd. 3, Dok. 252). Dass die 2009 veröffentlichte Dissertation „Wie mächtig war der Kaiser?“ von Alexander König2 das Thema des Oberbefehls und der Kabinettsregierung allgemein sowie die Unterschriftenlast Wilhelms II. behandelt, scheint den Bearbeitern von Bd. 3 ebenfalls entgangen zu sein.

Die Fragestellung nach der Anpassungsfähigkeit des Hofsystems ist sicherlich richtig. Im säkularen Verlauf nach 1820 wurde die Trennung des Hofes vom Staat immer schärfer, was dem zunehmend einerseits abstrakten, andererseits demokratisierten Staatsbegriff entspricht. Dennoch wird man die Antwort auf die Frage, warum manche europäischen Nationen ihre Monarchie beseitigt haben, während sie in anderen Ländern unverwüstlich scheint, woanders suchen müssen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 116, S. 438, S. 468–469.
2 Vgl. Alexander König, Wie mächtig war der Kaiser? Kaiser Wilhelm II. zwischen Königsmechanismus und Polykratie von 1908 bis 1914, Stuttgart 2009, bes. S. 95, S. 262–263.

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